überwinden
Die Zeit steht still. Sie umlagert drückend. Wie schwüle Sommerluft. Zerrt am Körper. Der Kopf wird schwer und hohl. Ins Haus ist die Nacht eingezogen. In jedes Zimmer. Die Geräusche sind verstummt.
Nur sie - hockt wach. Die Augen bleischwer vor Müdigkeit. Konzentration ist fort. Agilität verschwunden. Ihre Arme hängen kraftlos am Körper. Die nackten Füße drücken, als würde die Bettdecke sie strangulieren. An der Stirn breitet sich dumpfes Kopfweh aus. Sie atmet schwer in die Brust. Horcht schlafsehnsüchtig Geräuschen vom Gehweg nach, die in einem Flur verhallen. Das Haus gähnt gemütlich in die Nacht.
Alles still.
Nur sie nicht.
Ihr Herz pocht aufgepeitscht bis zum Hals. Gibt der innerlichen Aufruhr ein Gesicht. Lärmt wie ein überfälliger Jahrmarkt. Ein Reisenrad, das sich dreht und dreht. Kein Ausstieg. Gedanken kreisen und kreisen. Kein Stop.
Die Augäpfel sinken unterträglich in die Augenhöhlen zurück. Kreischen verzweifelt nach Erholung. Bestrafen mit stechendem Brennen die Wachliegende. Die Seele brennt gleichsam. Das inwendige Gedankenfeuer verzehrt. Reibt auf. Gequält drück sie sich in die Matratze. Das übliche Spiel. Ihm überdrüssig. Ihm ausgeliefert. Sie sinkt unter der tonnenschweren Brust zusammen. Erliegt der bleischweren Stirn. Macht sich mit inbrünstigem Seuftzen Luft. - SCHRECK -
Der Laut zerreißt schneidend die Grabesstille. Spiegelt ihr mit donnernder Eisigkeit, das die Nacht kein Lärmen duldet. RUHE! Erdrosselnde Stille im gesamten Haus. Sie hält die Luft an. Atmet krampfhaft leise. Unterdrückt jeden Laut. Der Körper vibriert fiebrig unter der Peitsche dieser Sklaverei. Sie krampft noch mehr. Erschrickt bei jedem Ton. Ihr Innerstes kauert sich zusammen. Der gepeinigte Organismus wird zum Zerrspiegel der überreizten Seele. Die ausfahrende Luft dröhnt wie ein Güterzug. Wagon um Wagon donnert dahin. Unausstehlich laut. Jeder Atemzug hallt anklagend in den Raum hinein. Dröhnt in ihr nach. Der Leib straft jeden Dezibel mit verstärktem Kopfschmerz.
Frieden im Haus.
In ihr Krieg.
Ausgemergelt schreit der Körper nach Schlaf. Die Seele stimmt mit ein. Beide schreien gegeneinander an. Kämpfen wie erbitterte Gegener um dasselbe. Toben einer gegen den anderen. Verkrallen sich. Erhitzen und entladen sich aneinander. In ekelhaftem Wechselspiel. Reiben gegenseitig letzte Kraftreserven auf. Kein Sieg in Sicht. Endloser Kampf. Endlose Nacht.
Sie horcht. Vogelstimmen? Erlöst sie der Morgen? Befreiung durch ein Ende der umlagernden Geräuschlosigkeit?
Stille. Tiefe Stille.
Kämpft sie gegen sich selbst? Gegen die Dunkelheit? Wer ist der Gegner? Ist die Nacht der Feind?
Sie stockt.
Kann sie Frieden schließen? Sich mit der Nacht versöhnen? Mit der Stille eins werden? Sie zulassen? Warum warten bis die Vögel zwitschern? Warum nicht selbst Vogel sein? Warum sich der verhängten Geräusch-Sperre ergeben? Warum nicht der eisigen Stille weiche Töne entgegensetzten? Es wagen, den Frieden der Nacht durch einen Beitrag zu ergänzen? Warum weiter steif liegen? Weiter handlungsunfähig ins Nichts hineinfristen? Warum Schlaflosigkeit bange ertragen? Sie walten lassen? Sie in Herrschaftsstatus erheben? Ist Schlaflosigkeit bestimmende Gewalt? Man selbst ohnächtiges Opfer? Wer hat die Sinne gefesselt? Wer den Verstand betäubt?
Sie merkt auf.
Horcht in sich hinein.
Wie die Vögel im Einklang mit der Morgenröte den Tag willkommen heißen, läßt sie die Töne ihres Atems in Übereinstimmung mit der herabgesenkten Nacht ins Zimmer strömen.
Horcht ihnen nach.
Der Atem rasselt an den Nasenwänden vorbei. Schlägt sie wie Xylophone an. Sprintet hinaus. Verliert sich toll vor Lebenslust in der Weite des Zimmers.
Sie atmet weiter. Wagt durchs Heben der Brust ein Rascheln der Bettdecke zu zulassen. Hält inne. Atmet weiter. Komponiert ihre ur-eigene Geräuschsymphonie. Genuß, die gedämpften Töne der Nacht mitzubestimmen. Verkrampfung löst sich. Geiselung flieht. Wohlbehagen beruhigt die zerschlagenen Sinne. Genugtuung. Körper und Seele lockern sich. Öffnen den verbissenen Kampf-Griff, der das Herz beengte. Geben sich miteinander versöhnend einer zusammenfließenden Umarmung hin.
Grausige Stille wandelt sich in entspannende Ruhe.
Sie horcht ihren Gedanken nach: Warum nicht selbst Vogel sein?
Und fährt fort ihren zwitschernden Atem auf der Stille der Nacht tanzen zu lassen.