Erinnerungsfragment

Ihr Gesicht ist blass, als wäre sie krank. Sie hat hellblondes, lichtes Haar, das wild um ihren Kindskopf fegt. Der Wind schneidet durch ihre Kleidung und bläht das dünne, schief hängende, grob gestrickte, grell grüne Jäckchen im Rücken auf. Sie steht starr. Zu regungslos für ihr Alter. Der Kopf hängt zwischen müden Schultern, während die von Tränen überfließenden Augen durch die Bäume glotzen, welche das Ende des Gartens in Anmündung an ein Feld ankündigen. Sie sollte ausgelassen durch das Gras tollen und Freude an dem klaren Frühlingstag haben. Sie sollte in hellen Quietsche-Tönen Erstaunen und Freude über alles, was dank ihrer kindlichen Phantasie hier draußen zu entdecken ist, Ausdruck verleihen.

Jahre später wird sie sich nicht erinnern, was sie damals gefühlt hat. Eine bodenlose Traurigkeit, die wie ein aschener Himmel strahlende Helligkeit in dunstiges Grau filtert - ihre dauerhafte Begleitung; eine allgegenwärtige Schwere, die sie wie ein ständiger Schatten durchs Leben verfolgt. Ihre einladende Extrovertiertheit wird das verbergen. Die Augen nicht. Das Gemüt, beladen wie ein Hochseefrachter, wird wiederholt an inwendiger Leere zerschellen. Verzweiflung, Zerrissenheit, Sinnlosigkeit – eine eintönige Lebensmelodie.

Sie wird sich an die Wolke erinnern. Eine kleine Schäfchenwolke, die damals über ihrem Kletterbaum prangerte und ihr Kinderherz mit seiner Gegenwart tröstete. Ein völlig leer gefegter, hellblauer Himmel und diese eine Wolke – für sie geschickt zum Trost. Die Wolke war mehrfach da. In Situationen, wenn ihre kurzen Kinderbeine starr vor Seelenschmerz durch den Garten geisterten.